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2.2. Die Gütekriterien Körperlichkeit, Geistigkeit und Moral im Selbstverständnis des Adels und die Schaffung von ritterlicher und personaler Identität
Die Abgrenzung des Adels gegenüber den Bauern stellte sich in der Art der körperlichen Betätigung dar. Körperliches Schaffen im Sinne von Arbeit galt als niedere Tätigkeit, weswegen der Adel diese mied und so nichts produzierte. Im Gegensatz dazu war die körperliche Tätigkeit im Rahmen von Krieg und Turniersport, gerade weil dies nicht als Arbeit definiert wurde, im Mittelalter hoch angesehen und die Hauptbeschäftigung des ritterlichen Adels.
Die Körperlichkeit hatte im Selbstverständnis des Adels eine große Bedeutung. Außerdem war „Die mächtigste soziale Gruppe, die Ritterschaft, ... von der geistigen Entwicklung weitgehend abgeschnitten.“[11] Sie konnten häufig weder lesen noch schreiben, was allerdings nach damaligem Verständnis auch nicht als wichtig angesehen wurde.[12] Das Physische bedeutete immer viel mehr als das Geistige.
Die höchste Tugend des ritterlichen Adels des Mittelalters war nicht die Verbindung von Körper und Geist, sondern die Einheit von körperlichen und moralischen Werten. Die körperlichen Werte, die auch den Unterschied zum gemeinen Volk aufzeigten, waren Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Der Anspruch, auch moralische Werte zu verkörpern, entwickelte sich aus der Tatsache, dass es von den Rittern als Selbstverständlichkeit angesehen wurde, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen.
Pierron nennt vier Bedingungen, die das ethische Handeln der Ritter kennzeichneten.[13] Die Treue stand an erster Stelle. Der Ritter musste sein Wort halten und durfte die geschworene Treue nicht verraten.[14] Die zweite Pflicht dieser Männer des Krieges war es, in Tapferkeit zu handeln, d.h. Heldentaten zu begehen. Eine dritte Vorschrift zwang die Ritter auf kühne Art und Weise die Liebe der Damen zu erobern. Die letzte der nötigen Tugenden war die Freigiebigkeit. Der Ritter durfte im heutigen Sinne nicht geizig sein. Großzügige Geschenke oder auszurichtende Feiern waren selbstverständlich.
Alle diese notwendigen Eigenschaften waren nur beim Adel zu finden. Die Inkarnation von Moral und physischer Kraft stellte sich im Kreuzritter dar, der für Gott in die Schlacht zog, um die Ungläubigen zu besiegen, die heiligen Stätten befreite und bereitwillig sein Leben für diese Sache riskierte.
Durch dieses Bild wurde der Adel auch von außen legitimiert, nämlich durch die Kirche. Indem er für Gott und die Kirche zu Felde zog, erwuchs der Anspruch der Besonderheit. Die Kirche entwarf ein Gesellschaftsmodell, in dem der Adel „als von Gott zum Zweck erschaffen präsentiert [wurde], Moral zu verkörpern und Gerechtigkeit zu schützen, während dem gemeinen Volk die Aufgabe zuf[iel]..., hart zu arbeiten.“[15] Damit wurde eine Gesellschaft von Abhängigkeit und Ungleichheit zementiert, die bis ins 18. Jahrhundert, und auch darüber hinaus, bestand hatte.
Das Körperliche dominierte alle Lebensbereiche. Am eindrucksvollsten wurde dies bei Kriegen und deren unblutigeren Modell, dem Turnier, deutlich.
In der Schlacht oder im Turnier konnte sich der Ritter durch die Präsentation militärischer Fähigkeiten seine personale Identität schaffen, oder sie verlieren.[16] Im Falle des Erfolgs erntete der Kämpfer Ansehen, Ehre, und konnte sogar als Held verehrt werden und sich einen guten Namen verdienen. „A l’époque des chevaliers, l’honneur était plus précieux que l’or.“[17] Eine Niederlage, die aufgrund der verwendeten Waffen mit schrecklichen Verletzungen oder dem Tod einhergehen konnte, konnte dies alles wieder zunichte machen. Es war möglich, wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückzufallen, ein Zustand, der damals mehr schmerzte als jede Verletzung.[18]
Die Ursachen für Misserfolge waren nicht leicht zu bestimmen. Wegen der starken Verquickung mit der christlichen Lehre wurden Niederlagen nicht nur auf Unzulänglichkeiten der Mittel, wie z.B. eine schlechte militärische Taktik, unzureichendes Training oder mangelnde Kraft, zurückgeführt, sondern auch auf die persönliche, mangelhafte Erfüllung ethischer Normen. Vielleicht wollte ja Gott die Sünden des Ritters bestrafen, die in vorhergegangenem unwürdigem Verhalten lagen?
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[11] Rittner 1976, S. 70f.
[12] Rittner gibt anhand des Beispiels der Rechtsnorm des fränkischen Reiches, wobei sie leider nicht angibt, welches fränkische Reich sie meint, an, welche Bedeutung die Körperlichkeit im Hochmittelalter hatte. Ein königlicher Befehl war nur dann entscheidend, wenn er mündlich bei Anwesenheit des Herrschers vorgetragen wurde. Recht war nicht abstrakt, wie es z.B. eine formelle Urkunde der Hofkapelle oder Kanzlei gewesen wäre, sondern wurde ersichtlich an der Körperlichkeit desjenigen, der legitimiert war, es zu vergeben und zu verkünden. Der Unterwerfung unter einen Lehnsherren war nicht durch die mündliche Versicherung genüge getan, sondern erst nachdem der Niedere seine Hände symbolisch in die des Herrn gelegt hatte (vgl. Rittner 1976, S. 71f).
[13] Vgl. Pierron 1997, S. 65.
[14] Im damaligen Rechtswesen wurde der Treuebruch als Verbrechen angesehen.
[15] Rittner 1976, S. 74.
[16] Da auch in den großen Schlachten der Ritterheere der Kampf Mann gegen Mann entscheidend war, kann das Turnier als deren Miniaturausgabe betrachtet werden, obwohl es hier nicht um die große, übergeordnete Sache geht, denn es wird weder nur für das Christentum noch für den König gestritten.
[17] Pierron 1997, S. 64.
[18] Dies zeigt das große Ausmaß von Folgen, wenn das Selbstverständnis eines Menschen nur auf dem Körperlichen und auf vergänglichen Erfolgen basiert.
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