Ritterturnier

Ritterturniere im Mittelalter

von Björn Böhling

5. Zusammenfassung und abschließende Beurteilung

Zum Abschluss werden die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst und beurteilt. Hier wird auch die eingangs aufgeworfene Fragestellung wieder aufgenommen.

Wie wir gesehen haben, war die Darstellung des mittelalterlichen Ritters nach außen hin eine Darstellung seines Lebensstils. Der Ritter begab sich nicht in seine Rüstung und nahm an Schlachten oder Turnieren teil, weil ihm nur am Wettkampf oder Ausüben seines Handwerks lag.. In erster Linie war dies der Ausdruck seines Lebens und seiner Rolle in der Gesellschaft. Wer dem Ritterstand angehörte, für den war es selbstverständlich, dass er sich mit anderen maß oder für Volk und König in Schlachten zog. Es war nicht möglich, wie in anderen Berufen, nach Arbeitsende das Werkzeug aus der Hand zu legen und am nächsten Tag wieder zu ergreifen. Ritter zu sein, bedeutete tagtäglich, sich als Ritter zu fühlen und dementsprechend zu handeln. Dass das an den Tag gelegte Verhalten nicht in allen Fällen dem ritterlichen Ehrenkodex entsprach, sondern dass Machtgier, das Streben nach Reichtum und weitere persönliche Motive das Leben vieler Adliger dominierten, ändert daran nichts. Auch ein schlechter Ritter blieb ein Ritter.

Außerdem brachte dieses Leben Gefahren mit sich. Ruhm und Ehre konnte ein Ritter gewinnen, sich grenzüberschreitend einen guten Namen verdienen, evt. in die Gunst eines reichen Edelmannes aufsteigen, sich einen beträchtlichen Reichtum erkämpfen, vom König auch mit Titeln und Geschenken versehen werden – und durch eine Niederlage seine ganze Habe oder sein Leben verlieren.

Auch wenn, wie uns die Autoren berichten, der Ehrverlust weit schlimmer angesehen wurde als der Verlust an materiellen Dingen, konnte letzterer doch beträchtlich sein. Verlor ein Ritter im Turnier, verlor er meist sein Pferd und seine Rüstung, ohne die er weder sein Handwerk ausüben konnte, noch länger zum Ritterstand zählen konnte, da die Möglichkeit, einen adligen Lebensstil führen zu können, zu den Hauptvoraussetzungen der Zugehörigkeit gehörten. Bei jüdischen Bankiers musste er sich Geld leihen, sich tief verschulden, um wieder Anschluss zu finden, denn was sollte er sonst tun? Sein Leben war von der Ausbildung zum Kämpfer geprägt, viele Ritter konnten, was allerdings damals außerhalb der Klöster nicht weit verbreitet war, weder lesen noch schreiben. Viel entscheidender aber war, dass Ritter nichts gelernt hatten, was sie legal am Leben halten konnte. Nach dem Selbstverständnis des Adels waren die Bauern und Bürger dafür da, den Adelsstand zu ernähren, damit dieser für das Wohl des Landes streiten konnte. Man kann davon ausgehen, dass dieses Selbstverständnis auch dann weiter wirkte, als der Adel seinen Einfluss längst zu Gunsten des aufstrebenden Bürgertums einzubüßen begann. Denn der Schritt von einem Kämpfer zurück zu einem sich selbst versorgenden Bauern dürfte in den seltensten Fällen machbar und gewollt gewesen sein. Der Weg vom Adligen zum Kaufmann dürfte einfacher gewesen sein, doch das Problem blieb, dass jede Arbeit verpönt war und den Adligen noch weiter von seinem Stand entfremdete. Einem Ritter blieb besonders gegen Ende des Spätmittelalters, als die Teilnahme an Turnieren starken Restriktionen unterworfen war, nur der Beruf des Raubritters.

Die körperlichen Schädigungen und Qualen konnten hier nur am Rande erwähnt werden. Nach der Schilderung der verwendeten Waffen kann man sich aber gut vorstellen, welche Auswirkungen deren Einsatz hatte. Von leichten Verletzungen mit bleibenden Narben, bis zu Verstümmelungen, dem weiteren Leben als Pflegefall und dem langsamen oder sofortigen Tod war alles dabei. Tod und Schmerz waren immer die Begleiter der Ritter, auf dem Schlachtfeld wie in den Schranken des Turniers.

Die sich vollziehende Entwicklung des Turnierwesens ist m.E. das Spannendste und Interessanteste. Die Entwicklungslinie muss zwar erst mit dem Buhurt beginnen, da dessen Vorläufer nicht exakt zu beweisen sind, aber es ist schon beeindruckend, wie sich eine Form der körperlichen Auseinandersetzung über mehrere Jahrhunderte entwickelt, um dann doch plötzlich nicht mehr zeitgemäß zu werden und zu verfallen.

Die Tatsache, dass ein Ritterturnier aus einem Buhurt, einer Tjost und dem eigentlichen Turnier bestehen konnte, räumt mit der Geschichtsdarstellung auf, die uns durch die Medien und teilweise auch durch historische Romane nahegebracht wird. Dort werden Ritterturniere meistens als Zweikämpfe dargestellt, in denen erst mit Lanzen vom Pferd aus und dann mit dem Schwert Mann gegen Mann gefochten wird. Dass dies aber die Tjost darstellt, die vor der Hauptattraktion, dem eigentlichen Turnier der zwei Mannschaften, ausgefochten wurde, verschweigen die Berichte. Auch der Manövercharakter, das Turnier als Vorbereitung auf die Schlacht, wird nur selten erwähnt. Dass die Kirche viele Einwände gegen das Turnierwesen vorzubringen hatte und dies sogar in öffentlichen Verboten ausdrückte, dürfte weitgehend unbekannt gewesen sein, da die Kirche sonst, vor allem während der Kreuzzüge, oft die Hilfe des Militärs in Anspruch nahm.

Der Frage nach der Art der Leistungsbewertung sind wir näher gekommen. Erstaunlich ist, dass dieses Thema in vielen Darstellungen nur wenig Beachtung findet. Oft werden lediglich die Damen für die Ermittlung de Siegers verantwortlich gemacht. Erst die gegen Ende des 20. Jahrhunderts erschiene Literatur gibt weitere, durch Quellen abgesicherte Informationen. Es gab Herolde und Schiedsrichter, die den Kampfverlauf dokumentierten und bewerteten. Dadurch mussten Punktesysteme eingeführt werden, in denen je nach bewertetem Erfolg Lanzen als Einheit vergeben wurden. Auch wenn am Ende weiterhin die Damen des Hofes den Sieger des Turniers ehrten, hatten die Kampfrichter doch eine wichtige Aufgabe.

Zusammen mit der Entwicklung der Leistungsbewertung steht die Einführung von Turnierregeln. Sie gestalteten das Turnier übersichtlich und sorgten für weniger Grausamkeiten. Erstaunlich ausdifferenzierte Regeln sind bis heute überliefert. Sie regelten nicht nur das Kampfgeschehen, sondern bestimmten gegen Ende der Turnierära auch die Zulassung zum Turnier. Je stärker das Bürgertum an Einfluss und Macht gewann, desto mehr sonderte sich der Adel ab, in dem er sich auf einen kleinen exklusiven Kreis beschränkte. Nicht mehr jeder kleine Ritter durfte an Turnieren teilnehmen. Es wurde auch scharf darauf geachtet, ob die Teilnehmer wirklich einer langen Familientradition von Rittern entstammten. Bürgerliche waren zwar von vornherein ausgeschlossen gewesen, aber jetzt wurde besonders darauf geachtet, dass die Elite nicht in Gefahr geriet.

In der frühen Neuzeit dauerte es nicht lange, bis sich die Schranken der Turniere für immer schlossen, oder sie nur noch zur Belustigung dienten. Überkommen, veraltet, nicht mehr zeitgemäß und für den Krieg nutzlos geworden, gab es keinen Platz mehr für die Ritter – jedenfalls nicht mehr in der alten Kampfweise. Die Ritter mit ihren Streitrössern verschwanden und mit ihnen das Ritterturnier. Wie sehr die Lebensart der Ritter mit ihrer Identität verknüpft war, macht dies noch einmal besonders deutlich.

Trotzdem hatte das Mittelalterliche Ritterturnier mehrere Jahrhunderte überdauert. Es gehörte zum ritterlichen Leben und war auch immer dann Mittelpunkt des städtischen und bürgerlichen Lebens, wenn vor einer Burg oder bei Dörfern die Schranken errichtet wurden und die Kämpfer prunkvoll und unter großem Jubel heranmarschierten. Das mittelalterliche Leben, dass meist von Arbeit und Überlebenskampf geprägt war, bekam durch diese Veranstaltungen Farbe und Abwechslung. Zuschauermengen strömten zu den Turnieren und feierten bzw. litten mit ihren Idolen. Das Bewusstsein, dass die gegebene Ständeordnung nicht gerechtfertigt war, wurde bekanntlich erst Ende des 18. Jahrhunderts geweckt. Bis dahin war von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nichts zu spüren. Die Menschen waren von ihrem Patron abhängig und meistens auch von seinen Anhängern. Warum sollte ihnen das Turnier also nicht gefallen? Ihre Herrenfamilie präsentierte sich und sie konnten ihnen zujubeln.

Auf das Sensationsbedürfnis wurde schon hingewiesen. Aber nicht nur das Blutrünstige wurde erwartet. Es ging auch einfach darum, neben der Abwechslung, die hohen adligen Damen und Herren in ihren Gewändern und dem Reichtum zu sehen. Immerhin trat hier die damalige ‚Highsociaty’ zusammen, und teilweise war auch der König zugegen. Das das Turnier ergänzende Volksfestambiente sorgte natürlich auch für regen Zulauf.

Das Ritterturnier war Bestandteil mittelalterlichen Lebens. Die ganze Gesellschaft nahm auf die eine oder andere Weise Anteil. Es verband und trennte die verschiedenen sozialen Schichten. Hier trafen sie zusammen, doch waren sie nie auf einer Seite, was natürlich den Unterschied zwischen Adel, Bürgertum und Bauern auch zementierte.

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