Ritterturnier

Ritterturniere im Mittelalter

von Björn Böhling

3.4. Leistungsmessung bei Turnieren: Wie wurde der Sieger ermittelt?

Die Leistung eines Ritters war definiert „als die Realisierung der höchsten Werte seines Standes, der physischen und der ethischen.“[76] Allerdings gab es keinen anzuwendenden Maßstab, an dem die Leistung aller Teilnehmer einer Schlacht vergleichend bewertet werden konnten. Auch wenn einige Taten als außergewöhnlich oder besonders heldenhaft herausgestellt wurden, war es nicht möglich eine Rangliste aufzustellen. Gründe dafür waren die von Turnier zu Turnier nie ganz gleichen Bedingungen wegen des verschiedenen Terrains, der wechselnden Gegner und ihrer Kampfweise mit möglicherweise unterschiedlichen Waffen. Obwohl Quellen über diese Unterschiede berichten, versuchten die Historiographen nie, sie genau zu bewerten.[77]

Es stellt sich aber auch die Frage, warum eine Leistungsmessung zu einer Rangfolge führen sollte. Wenn ein Vasall ein Turnier erfolgreich bestritt, konnte zwar sein Ansehen gesteigert werden, doch an seiner rechtlichen und sozialen Einstufung in das Klassensystem änderte dies nichts.[78] Vasall blieb Vasall, auch wenn er noch so viele Erfolge, auch gegen höherrangige Adlige, und Anerkennung errungen hatte.[79] Wozu also eine Rangliste?

Hinzu kam noch, dass der Bedarf an Leistungsmessungen, im Mittelalter wenig ausgeprägt war. Warum auch? Beim Turnier ging es in erster Linie um die Realisierung von Werten, um die Darstellung von ritterlichen Tugenden und Fähigkeiten. Und diese drückten sich im Endergebnis aus. Nach griechischem Vorbild wurde nur der Sieger und damit der Beste ermittelt. Rittner beschreibt ein Verfahren zur Ermittlung des Siegers:[80]

„Herolde überwachen den Verlauf des Turniers, dessen Kern der Kampf zweier berittener Gruppen bildet, die mit Lanzen und stumpfen Schwertern bewaffnet gegeneinander antreten. Jeder Partei sind mehrere Herolde zugeordnet. Ist der Wettkampf beendet, muß jeder von ihnen den Namen desjenigen Ritters der Gegenpartei nennen, der seiner Meinung nach am besten gekämpft hat. Die Namen werden auf einer Liste zusammengestellt, die dann den Damen übergeben wird, die den Wettbewerb als Zuschauer verfolgt haben. Bei ihnen liegt die endgültige Entscheidung. Sie haben die Aufgabe, den Sieger jeder Gruppe zu nominieren.“[81]

Über die Objektivität als Kriterium der Leistungsbewertung durch die Damen braucht hier wahrscheinlich nicht weiter eingegangen werden. Auffallend ist aber, dass das Turnier offenbar nicht nur ein „sportliches“ Ereignis war, sondern dass es zugleich auch auf die Person an sich ankam. Dies zeigt, wie bisher schon dargestellt, die Verknüpfung von körperlicher Leistungsfähigkeit mit der Person des Ritters, seinem Stand als Adligem, und deren Ausdruck im Turnier.

„Der Turniersport entspricht genau seiner [Anmerk. d. Verf.: des Adels] Klassenlage und den daraus resultierenden Bedürfnissen. Es existiert keine fremde Instanz, deren Forderungen den ritterlichen Sport überfremden könnten. Er ist vollendeter Ausdruck der ritterlichen Lebensform, des ritterlichen Denkens, das ihm in seiner Konkretheit und Körpernähe nicht widerspricht.“[82]

Nur der Ritter gewann, der nicht nur mit seinen Waffen den Gegner bezwang, sondern der auch die Wertschätzung bei den Damen besaß. Sieger war am Ende die ganze Person des Ritters und nicht nur seine erbrachte Leistung. Derjenige wurde zum Helden deklariert, der das Ritterideal perfekt repräsentierte.

Bei dieser Schilderung der Leistungsmessung, die weitgehend der Argumentationslinie Rittners folgt, geht sie auf den eigentlichen Kern des Problems nur am Rande ein. Das Gesagte kann zwar weitgehend so stehen bleiben, aber es bedarf dringend der Ergänzung. Sie spricht davon, dass die Herolde die Namen der Ritter aufschreiben sollten, die am besten gekämpft hatten. Diese Aufgabe impliziert aber ein Bewertungssystem, und da muss man sich doch fragen: Wie wurde bewertet?

Rühl nimmt sich dieses Problems, allerdings erst zwanzig Jahre später, an und fragt, wie die Rangfolge bei der Tjost ermittelt wurde.[83] Dabei geht es nicht, wie Rittner schon richtig herausgestellt hat, um eine Rangfolge, die z.B. der heuten Tennisweltrangliste folgend die Leistungen mehrerer Turniere bezeugte, sondern nur um die Ermittlung des Siegers eines einzigen Turniers. Dies war eine schwierige Angelegenheit und die Historiographen bringen uns bei der Beantwortung der Frage nicht weiter, da sie sich zwar ihre eigenen Gedanken zu den Turnierabläufen machten, aber nicht auf die Gedankengänge und Punktvergaben der Entscheidungsträger eingingen. Die einzigen brauchbaren Quellen sind Trefferzählskizzen (score cheques), die über 400 Jahre von den Mediävisten vernachlässigt wurden und die nach derzeitiger Erkenntnis nur für England nachzuweisen sind.[84] Rühl bezieht sich bei seinen Ausführungen deshalb auf Trefferzählungen bei der Tjost mit Mittelleitplanke.

Fest steht, dass sowohl Kampfrichter, als auch Herolde die Notierung der Treffer übernahmen und für den regelgerechten Ablauf sorgen mussten. Ihnen oblag ebenso die Befugnis der Waffenkontrolle vor dem Kampf.

Für die Analyse mittelalterlicher Leistungsmessung bei Ritterturnieren stehen mehrere Quellen zur Verfügung, die allerdings weitgehend aus dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit stammen.

Zum einen sind hier Turnierberichte zu nennen. In ihnen wurde z.B. erwähnt, dass Turnierrichter und Herolde Einzelaktionen der Ritter auf entsprechenden Tafeln markierten und so schriftlich fixierten.

In ‚challenges’, ‚articles’ und ‚capitres d’Armes’ wurden Abmachungen für die Tjost in Bezug auf die Anzahl der Antritte (meistens waren es sechs) festgehalten. Hier wurde auch schon dokumentiert, dass z.B. jede Lanze, die am Helm traf, zwei Lanzen zählte oder dass jemand, der mit seiner Lanze höher traf als der Gegner, eine höhere Wertung bekam.

Erlassene Turnierregeln, wie die von Lord Tiptoft, Earl of Worcester, aus dem Jahr 1466, zeigen, dass es eine Wertung nach positiven Lanzen gab.[85]

Musterschecks, im heutigen Sinn Vordrucke für die Eintragung von Treffern, auch Trefferzählskizzen genannt, wurden auch schon damals benutzt und sind uns erhalten geblieben. In ihnen wurden die Treffer vermerkt und zusätzlich durch Symbole erläutert. So wurde nicht nur festgehalten, wo ein Treffer gesetzt wurde, sondern auch ob die Lanze dabei brach oder ob der Ritter irgendwelche Fehler machte. Zu den Symbolen in der Skizze gab es eine kurze Erläuterung. Diese Musterschecks konnten zusätzlich mit Glossen und Marginalien versehen sein. Das waren dann Anweisungen für die eintragenden Herolde.

Als sehr verlässliche Quelle gelten im Allgemeinen die Zusammenfassungen von Ereignissen auf Schecklisten. Es handelt sich hier um eine abschließende, schriftliche Bestätigung wesentlicher Teile der Scheckliste und somit des gesamten Kampfverlaufes.

Schecklisten ohne Eintragungen können als reine Teilnehmerlisten gewertet werden. Sie machen Aussagen über die verschiedenen Ritter, dokumentieren und legitimieren ihre Turnierfähigkeit, d.h. man konnte sich später auf diese Teilnehmerliste berufen, wenn man den Beweis vor einem anderen Turniergericht antreten musste. Außerdem lässt sich hier der Turnierablauf erkennen und es kann nachvollzogen werden, wer gegen wen antrat.

Vollständig ausgefüllte Schecklisten sind natürlich noch wertvoller. Hierin sind alle Teilnehmer meist mit Skizzen ihrer Wappen aufgeführt, was heute eine Rekonstruktion des Turniers zulässt und damals den Kampfrichtern das Erkennen des richtigen Ritters ermöglichte. Zusätzlich wurde hierin die Zahl der Antritte eingetragen. Hier wird auch deutlich, wie erfinderisch und einfallsreich Turnierrichter waren. Sie schrieben die Treffer auf alles, was zu beschreiben war, und ihnen entging nichts. Wenn z.B. die Tinte ausging, wurde sie durch Nadelstiche ersetzt, oder es wurden die Schecklisten des Vortages trotz der Eintragungen noch einmal verwendet.

Erst aus dem 16. Jahrhundert stammen Dokumente, die von einem System der Punkterrechnung zeugen. Bis dahin waren, wie es scheint, das Abwerfen des Gegners vom Pferd oder das Brechen seiner Lanze die einzigen Zwischenfälle, die für das endgültige Ergebnis wirklich zählten. Die Regeln, die 1466 von John Tiptoft verordnet wurden, weisen auf ein System der Punkterrechnung hin, indem aber immer noch die Königin und die anwesenden Damen dafür sorgten, den Sieger zu ernennen, und ihm die Trophäe zu überreichten. Die eigentliche Verantwortung lag aber bei den Organisatoren des Lanzenbrechens und den Kampfrichtern.

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[76] Rittner 1976, S. 84.

[77] Vgl. Rittner 1976, S. 85.

[78] Ebenfalls gab es für einen erfolgreichen Ritter keine wichtigen, politischen Ämter, wie z.B. im alten Griechenland. Einzig etwas Wellness nach einem siegreichen Kampf war dem Ritter vergönnt.

[79] Beachtet werden muss auch, dass Adlige aufgrund ihrer Herkunft schon mit einem Bonus ins Ritterleben starteten. Es musste also niemand, abgesehen davon, dass dies auch nicht möglich war, sich erst nach oben kämpfen.

[80] Vgl. Rittner 1976, S. 86. Die Informationen stammen aus Strutt, J.: Sports and Pastimes of the people of England, London 1810, S 116-135. Strutt stützt sich auf englische und französische Quellen.

[81] Rittner 1976, S. 86.

[82] Rittner 1976, S. 78.

[83] Vgl. Rühl 1988, S. 98.

[84] Der aktuelle Anzahl der ‚score cheques’ wird mit über 70 angegeben (Stand von 1961).

[85] Wegen des eindrucksvollen aber sehr ausführlichen Regelwerks befinden sich Teile daraus in Anlage II im Anhang.

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