Ritterturnier

Ritterturniere im Mittelalter

von Björn Böhling

4.2. Gründe für die Popularität der Turniere

Dass die Turniere trotz allen Unglücks, das sie mit sich brachten, und trotz aller entstehenden Schwierigkeiten und Verwicklungen ihre Popularität nicht einbüßten, hatte mehrere Gründe. Turniere waren ein gutes Training und dienten zur Vorbereitung auf den Krieg, sowohl individuell als auch in der Gruppe. Neben technischen und taktischen Fertigkeiten wird in der Literatur etwas beschrieben, dass man vielleicht mit dem Erwerb psychologischer Fertigkeiten bezeichnen könnte. Es ging darum, Erfahrungen im Kampf Mann gegen Mann zu sammeln. Zu erfahren, was es bedeutete, sich auf Leben und Tod mit Schwert und Schild zu verteidigen, mit der Lanze im Galopp auf den Gegner zu zurasen, das Knirschen der Rüstung zu hören, wenn der Gegner die Verteidigung durchbrochen hatte und sich von der Masse des toten Gegners zu befreien, wenn dieser im Zweikampf auf einen gefallen war. Schon deshalb mussten Turniere, solange sie zur Kriegsvorbereitung dienten, einen martialischen und teilweise auch grausamen Ausdruck behalten. Natürlich ist das Ruhmbedürfnis der Ritter nicht zu verachten. Ruhm und Ehre gehörten ja zum Selbstverständnis des gesamten Standes.

Außerdem trat ab dem 13. Jahrhundert ein weiterer Aspekt in den Vordergrund, der auch schon von den Zeitgenossen kritisiert wurde. Viele Ritter betraten nicht mehr nur der Ehre willen die Schranken des Turniers, sondern um Ruhm zu erwerben, sich zu bereichern und Beute zu machen. Lösegelder oder die von den Verlierern übernommenen Waffen und Streitrösser stellten einen Anreiz dar, und obwohl ein Ritter natürlich auch alles verlieren konnte, versetzte die Spannung und das Risiko dem Turnier noch einmal einen Popularitätsschub.[96]

Das Sensationsbedürfnis, das weit über das Bedürfnis im tristen Alltag Abwechslung erleben zu wollen, hinausging, war natürlich auch früher schon vorhanden. Und man kann wohl einfach sagen, je mehr Blut, desto mehr Aufsehen und Begeisterung riefen Turniere hervor. Ob nun römische Wagenrennen, mittelalterliche Turniere oder neuzeitliche Boxkämpfe, der Unterschied dürfte, was das betrifft, nicht allzu groß sein. Man darf nur nicht den Fehler machen, die heutige Ansicht in die Vergangenheit übertragen zu wollen, denn was uns heute brutal und primitiv erscheint, war in vergangener Zeit vielleicht das Angesehenste und Erstrebenswerteste. Außerdem war man im Mittelalter Gewalt gewohnt. Krieg oder Verbrechen gab es immer wieder. So trat neben der Sensationslust wahrscheinlich auch schon die Gewöhnung an Gewalt.

Hinzu kommt noch, dass die Turniere mit den eingeführten Turnierregeln (besonders mit Beginn der Zahlung von Startgeldern) eine soziale Aufwertung der Teilnehmer erfuhren. „Die Fürsten und Adligen legten ... im hohen Mittelalter Wert auf gebührenden Abstand vom Bürger, auch wenn er ein Patrizier war.“[97] „Das Turnier war ein Exerzierfeld für die Elite ... [durch] eine ‚Säuberung’ des Kampfplatzes von den weniger standesgemäßen Elementen“ geworden.[98]

In der ersten Zeit des Mittelalters scheint es sehr wenig Beschränkungen in Bezug auf die Teilnahme an den Turnieren gegeben zu haben. Jeder, der den Rang des Ritters oder Knappen hatte und sich eine Rüstung besorgen konnte, war gern gesehen im Schlachtgetümmel.[99]

Die neue Elitenbildung nahm im Laufe der Turnierentwicklung teilweise groteske Formen an. Zusätzlich zu aufzubringenden Antrittsgeldern wurde festgesetzt, dass nur Ritter an Turnieren teilnehmen durften, die ihre Abstammung belegen konnten. Diese wurden durch Ahnenreihen bewiesen, die vor dem Kampf genau geprüft wurden. Herolde fertigten Listen über die Erbwappen derer an, die an einem Turnier teilnehmen wollten. Hatten diese erfolgreich ihre Abstammung dokumentiert, galten sie als turnierfähig. Diese Listen waren Verzeichnisse, die den hohen aristokratischen Standard eines Turniers bezeugten. Das Zulassungsverfahren gipfelte auf deutschem Gebiet, wo von einem Ritter verlangt wurde nachzuweisen, dass seine Vorfahren über fünfzig Jahre hinweg an Turnieren teilgenommen hatten und dass er mindestens zu der fünften Generation mit adliger Abstammung gehörte.

Von einer angemessenen Kriegsvorbereitung kann nach dieser Selektion von Teilnehmern sicher nicht mehr gesprochen werden. Gründe für dieses sich auf den Kern der Aristokratie zurückführendes Verhalten sind woanders zu suchen. Hier soll nur soweit darauf eingegangen werden, dass diese Konzentrierung wohl mit dem Erstarken des Bürgertums in Zusammenhang stand. Je mehr das Bürgertum an Reichtum gewann, desto mehr schottete sich die Aristokratie ab und stellte ihre Exklusivität so stärker dar, um ihren Einfluss und ihre Lebensart zu schützen.[100]

Ein letzter Grund für den Erfolg von Turnieren, trotz aller Widrigkeiten, war die „starke erotische Dimension“ bei Ritterturnieren durch die Gegenwart von Frauen.[101] Von Beginn des 13. Jahrhunderts an handelte es sich um ein gesellschaftliches Ereignis von großer Wichtigkeit, und die Anwesenheit der Damen schien sich von selbst zu verstehen. Das erste genauere Zeugnis von einer weiblichen Schirmherrschaft war das eines Turniers, das 1207 in Montpellier von Pierre II. von Aragon zu Ehren seiner Herrin bestritten wurde.

Einige Frauen sollen sogar eine echte Leidenschaft für das Lanzenbrechen gehabt haben, wie Béatrice, die zweite Frau von Jean de Bohème, die er angeblich heiratetet, weil sie seine Liebe zu Turnieren teilte.

Die Frau stand am Ende des Turniers mit dem Sieger im Mittelpunkt, wenn sie ihm noch vor dem Veranstalter den Preis oder Dank überreichte. Die Frau selbst als Siegerpreis war allerdings eine Ausnahme. Die Damen waren für das Turnier sehr wichtig. Einige Wettkämpfe wurden allein für sie veranstaltet. Sie bezeugten die Leistung der Männer, die im Kampf um ihre Gunst stritten, schon während des Kampfes, indem sie Schmuckstücke und Schleier an ihre Favoriten verschenkten.

Auch bei Niedermann haben Frauen einen starken Einfluss auf Turniere. „Das Turnier war nicht selten der erste Anlass, bei dem sich das Mädchen als heiratsfähige Frau nach seiner strengen Erziehung im Kloster und in den Frauengemächern zum erstenmal in der Öffentlichkeit zeigen durfte.“[102] Das Turnier hatte also auch eine Funktion der Präsentation und mögliche Heiratsvermittlung.

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[96] Ziel eines Ritters war u.a. auch, einem reichen Adligen aufzufallen, der ihn in seine Dienste nehmen würde. Sozialer Aufstieg war also auch innerhalb der feudalen Abhängigkeitsverhältnisse möglich, und es wird auch davon berichtet, dass wenn sich ein Ritter unter einem Adligen im Turnier hervorgetan hatte und er nun aus irgendwelchen Gründen entlassen wurde, dann konnte er sein Ansehen in den Dienst eines neuen Herrn hinüberretten, ohne Imageverluste zu erleiden.

[97] Niedermann 1980, S. 78.

[98] Keen 1987, S. 139.

[99] Vgl. Pierron 1997, S. 65f.

[100] In dieser Zeit hört man auch von bürgerlichen Turnieren, die eine Verbundenheit oder aber den Glauben an eine Standesähnlichkeit zeigten. Die Konzentration auf den adligen Kern sorgte aber auch dafür, dass viele Edelleute von Turnieren ausgeschlossen wurden, wodurch sich der Niedergang des Turnierwesens noch beschleunigte.

[101] Keen 1987, S. 142. Keen bezeichnet dies als wirkungsvollsten Einflussstrang für die Popularität der Turniere und sieht die Artus-Saga als Vorbild, in der die Ritter nach einem höfischen Fest ihre Kräfte maßen und von den zuschauenden Damen angefeuert wurden. Hier wird dem Rechnung getragen, dass als Quellen oft (romantische) Literatur hinzugezogen wurde, da nur sie über die Vergangenheit informierte. Fakt scheint aber zu ein, dass in jeder Turnierbeschreibung eine Erzählung über die Damen und ihr Verhalten nicht fehlte.

[102] Niedermann 1980, S. 79.
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